1874

Der gebürtige New Yorker Henry Sylvestre Jackson emigrierte ins Deutsche Reich, wo er den Namen Heinrich Sylvester Jackson annahm und die weiße deutsche Artistin Clara Neuner heiratete. Beide gründeten zusammen eine Familie und ihr eigenes Zirkusunternehmen, in dem auch ihre vier Kinder Karl, Dorothea, Martha und Heinrich junior mitwirkten.

1900er Jahre

Wie für die damaligen Verhältnisse üblich, sicherte die Familie den Fortbestand des Zirkusunternehmens durch Eheschließungen mit Mitgliedern aus anderen Zirkusfamilien. Dorothea und Karl heirateten in die Zirkusfamilie Leyseck ein, und auch Heinrich Sylvester schloss nach dem Tod seiner ersten Frau, Clara, die Ehe mit einer Angehörigen der Leyseck-Familie. Durch die Verbindung beider Familien hatten die Jacksons und die Leysecks die Möglichkeit, das künstlerische Unterhaltungsprogramm und ihre unternehmerischen Tätigkeiten auszuweiten. Unter dem Namen „Lejsek & Jackson“ entstand so ein gemeinsames Zirkusunternehmen mit einem breit gefächerten Repertoire. Zum Standardprogramm des Zirkus‘ gehörten Lasso-, Messerwurf- und Reitnummern, die der nordamerikanischen Ranch-Tradition entlehnt waren.

1909

In einer zeitgenössische Anzeige wird auf die Zirkusfamilie als „Buren-Circus“ Bezug genommen. Diese Bezeichnung verschleierte die wahre amerikanisch-deutsche Identität der Jackson-Leysecks und schrieb ihnen eine südafrikanische Herkunft zu. Der Grund dafür lag in der Tatsache, dass Schwarze Kunstschaffende sich genötigt sahen, die kolonialrassistisch geprägten Vorstellungen und Erwartungen des deutschen Publikums bedienen zu müssen. Obwohl auf diese Weise der Erfolg der Zirkusfamilie begünstigt wurde und das finanzielle Auskommen gesichert werden konnte, förderte die deutsche Begeisterung für koloniale Themen rassistische Stereotype und die strukturelle Diskriminierung Schwarzer Menschen. Bestätigt wird dies im selben Zeitungsartikel, in dem nicht die gleichberechtigte Zusammenarbeit der Familienmitglieder herausgestellt, sondern der weiße Franz Leyseck als Zirkusdirektor angenommen wurde.

1920er Jahre

Nach dem Ersten Weltkrieg verstärken sich institutioneller und interpersoneller Rassismus in Deutschland zunehmend. Die Besatzung des Rheinlandes durch französische Soldaten of Color befeuerte eine rassistische Propaganda-Kampagne und die schlechte Wirtschaftslage führte dazu, dass viele Schwarze Menschen, darunter auch Künstler*innen, Handelsvertreter und Facharbeiter, ihre Anstellung verloren.

1935

Die Einführung der Nürnberger Gesetze erschwerte das Leben Schwarzer Menschen zunehmend. Menschen, die nicht in die nationalsozialistische Ideologie passten, sollten systematisch aus dem gesellschaftlichen und beruflichen Leben verdrängt werden. Künstlerische Engagements für Schwarze und jüdische Menschen sowie Sinti*zze und Rom*nja waren nur noch mit Sondergenehmigungen möglich. Viele Familienmitglieder der Zirkusfamilie Jackson-Leyseck wanderten nach Schweden aus, wo sie den Zweiten Weltkrieg überlebten. Dorothea blieb in Deutschland. Ihr Lebensunterhalt war aber nach dem Tod ihres Ehemannes Franz und dem Wegzug des Großteils ihrer Familie nicht gesichert.

1937

Um weiterhin für ihren Lebensunterhalt sorgen zu können, schrieb Dorothea einen Brief an das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, in der Hoffnung, eine Arbeitsgenehmigung als Vortragskünstlerin zu erhalten. In ihrem Schreiben gab sie sich als Deutsch-Südwest-Afrikanerin aus, die in den Kolonien geboren worden war. Dieser Rollenwechsel ist ein weiterer Hinweis auf die rassistischen Strukturen, denen sich Schwarze Menschen gegenüber sahen. Denn obwohl die Rassenideologie der NSDAP eine wohlwollende Behandlung Schwarzer Menschen nicht vorsah, zeigten die deutschen Behörden in einigen Fällen Milde gegenüber Menschen aus den ehemaligen Kolonien in Form von finanzieller Unterstützung, um deren prekäre Lebenssituation zu erleichtern. Grund dafür war, dass nach dem Krieg die Kolonien wiedererlangt werden sollten. Um diese kolonialen Bestrebungen in der Zukunft möglichst ohne Widerstände umsetzen zu können, sollten negative Berichte über die Behandlung von in Deutschland lebenden Schwarzen Menschen in die Heimatländer vermieden werden. Ebenso wie Dorotheas Familie sich als südafrikanische Zirkustruppe inszeniert hatte, sah sie sich nun erneut dazu gezwungen, eine andere Identität vorzugeben, um der existentiellen Bedrohung zu entgehen. Ihr Versuch scheiterte jedoch und ihr Antrag blieb unbeantwortet. Wie Dorothea bis nach dem Krieg ihren Lebensunterhalt sicherte, kann aufgrund uneindeutiger Quellenlage nicht genau nachvollzogen werden.

Nach 1945

Nach Kriegsende kehrte Dorothea zum Zirkus zurück und behielt, anknüpfend an die deutsche Kolonialvergangenheit, ihre Rolle als „Deutsch-Südwest-Afrikanerin“ bei, da seitens des Publikums nach wie vor großes Interesse gegenüber dem vermeintlich kulturell „Anderen“ bestand. Wirtschaftliche Zwänge machten es demnach auch weiterhin notwendig, bestehende rassistische Strukturen zu navigieren und Fragen nach der eigenen Identität und den darin liegenden Möglichkeiten der Selbstverwirklichung zurückzustellen.

1965

Dorothea verstarb vermutlich in Eggersdorf in Brandenburg unter ungeklärten Umständen.

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Bildnachweise

  • Kachel: Zirkusarchiv Winkler
  • Banner: Zirkusarchiv Winkler
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